03.05.2020 - Predigt zum Sonntag Jubilate

Predigt zum Sonntag Jubilate, 3. Mai 2020

1 Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. 2 Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringe. 3 Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. 4 Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. 5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun.

Liebe Internetgemeinde,

als Weingärtner muss man gute Reben auswählen und andere abschneiden, sagt Jesus in diesem bekannten Bild vom Weinstock und seinen Reben. Als Prediger muss ich etwas Ähnliches tun. Ich muss die wertvollsten Impulse eines Predigttextes aufgreifen und andere beiseitelassen. Sonst kann die Predigt keinen Ertrag bringen, vor allem in diesem kürzeren Format des Internetgottesdienstes nicht.  - Ich will mich deshalb auf den letzten Vers beschränken, der wie eine Zusammenfassung alles Gesagten ist:

Jesus sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ (Johannes 15,5)

Ich erinnere mich gut an meinen Start ins Berufsleben. Ist schon ziemlich lange her, aber ich hab´s nicht vergessen. Ich kam als Vikar in eine Gemeinde im Illertal, ganz im Südosten Baden-Württembergs und sollte mich an einem Sonntag im Gottesdienst vorstellen. Am besten mit einem passenden Bibelvers, wie man es von einem Theologen zurecht erwarten kann. Natürlich machte ich mir viele Gedanken, zerbrach mir den Kopf. Was könnte ein gutes Wort zum Anfang sein? Was ist meine Motivation für den Pfarrberuf, was ist mein Credo?

Also suchte ich und fand schließlich genau diesen Vers aus Johannes 15, 5. (Wdh)

Warum habe ich damals diesen Vers gewählt? - Ich sag´s mal etwas pointiert und irritierend: Weil er dem, der aktiv für Jesus Christus eintreten will, sagt: Bleibe passiv, dann machst du es richtig. - Das klingt komisch, nicht wahr?

Wenn du aktiv sein willst, bleibe passiv.

Dieser Satz kann ziemliche Missverständnisse erzeugen: Zum Beispiel, dass man denkt: Na prima, dann muss ich ja nichts machen. Kann mich auf die faule Haut legen. Jesus wird es schon richten. Ich bin am besten aktiv, wenn ich passiv bleibe. Ein angenehmer Zustand.  - Doch ich denke, wir ahnen, dass Jesus es so nicht gemeint hat.

Ein anderes Missverständnis entsteht für mich daraus, dass das Bild vom Weinstock und den Reben sich nicht hundertprozentig auf Jesus und uns übertragen lässt. Denn die Frage ist ja:

Wie soll man denn passiv an Jesus bleiben? Indem ich bleibe, tu ich ja was. Ich bleibe zuhause, ich bleibe stehen, ich bleibe bei meinen Grundsätzen. Das ist etwas Aktives. An dieser Stelle ist das Bild nicht ganz stimmig. Denn eine Rebe, also ein Trieb kann sich nicht selbst entscheiden, am Weinstock zu bleiben. Das entscheidet doch der Weingärtner, ob er diese Rebe abschneidet oder nicht. Ich aber soll das können? Gut, aber dann bin ich ja aktiv! Dann bleibe ich auch aktiv an Jesus dran, gehe in den Gottesdienst, bete, lese die Bibel, tue etwas Gutes für meine Nächsten. Aber passiv bleiben?

Das passt irgendwie nicht ganz zusammen.

Wie aber meint Jesus das: „Wenn du aktiv sein willst, bleibe passiv?“ Nun, ich denke, es geht darum, dass wir uns klarmachen: Wann immer wir uns dafür entscheiden, für unseren christlichen Glauben in dieser Welt einzutreten, indem wir in der Gemeinde mitarbeiten, einsame Menschen besuchen, eine gerechte Initiative starten, Geld für gute Zwecke sammeln oder aber Gottes Wort verkündigen wollen, dann wird das am besten funktionieren, wenn wir es nicht in erster Linie aus unserer eigenen Kraft heraus tun, aus dem, was wir gelernt oder studiert haben, aus unseren Talenten und Ideen, aus unserem Überblick oder aus unserer gestandenen Routine heraus, sondern aus unserer Bindung an Christus, die man sich vorstellen darf wie die Verbindung zwischen einem Weinstock und seinen Trieben. Sind die Verbindungen unterbrochen, können sich keine Früchte an den Trieben bilden. 

Und genau da trifft Jesus doch einen wunden Punkt bei uns allen, glaube ich. Denn von unserer Veranlagung her sind wir gewohnt, aktiv und passiv zu trennen. Entweder wir arbeiten, dann packen wir an, dann ist nix mit passiv. Dann haben wir keine Zeit zu bleiben, keine Zeit, in uns etwas aufzunehmen, dann wollen wir die Ärmel hochkrempeln und loslegen.  Doch Jesus gibt uns den Hinweis: Wenn ihr auf diese Weise für mich aktiv seid, dann verliert ihr leicht den Kontakt zu mir, dann brennt ihr aus, dann macht ihr möglicherweise nur euer eigenes Ding, aber nicht meins.

Und Martin Luther, der immer einen ausgeprägten Sinn fürs Praktische hatte, hat daraus den sehr anschaulichen Tipp abgeleitet: Wenn du morgens aus dem Bett aufstehst, dann denke nicht, dass du auch noch später Zeit zum Beten haben könntest. Denn dann greift der Tag nach dir mit all seinen Anforderungen. Bete am besten gleich, sonst wirst du nicht mehr dazu kommen.

Also erst mal bleiben – bei Jesus – erst mal die Verbindung zu ihm suchen - und dann aktiv werden und anpacken. Denn eine Rebe kann nicht aus sich selber Früchte schaffen, sie ist auf den Weinstock angewiesen. Sie hat keine Kraft aus sich selbst heraus, keine Wurzeln, keinen Boden, wenn sie nicht in Christus wurzelt, aus ihm stammt.

Liebe Internetgemeinde,

viele unter uns hatten in den letzten Wochen das Gefühl, vom eigentlichen Leben abgeschnitten zu sein, von der gewohnten Berufsausübung, von stärkender Kultur und unbeschwerter Geselligkeit, von echter Bauchfreude und spontanen Aktionen, von lieben Menschen, die man lange nicht gesehen hat. Eine Hörerin im Radio sagte vorgestern: „Ich grüße alle anderen coronierenden Großeltern.“  Großeltern, die genauso wie sie ihre Enkel nicht mehr sehen dürfen seit mehr als anderthalb Monaten. Da geht es uns nicht gut dabei. -So wenig wie es einer Rebe gut gehen kann, die vom Weinstock abgeschnitten ist. Deshalb ist es ein wertvoller Impuls, wenn Jesus sagt: Bleibt an mir dran, ich bin wie ein guter Weinstock für euch. Ich kann eurem Leben Saft und Kraft geben. Ich kann wunderbare und wohlschmeckende Früchte aus euren Werken entstehen lassen. Ich bin nämlich kein magenschonender Kamillentee, sondern Quelle eines inspirierenden und berauschenden Getränks. Ich will euch mit Glück und Freude erfüllen. Und gerade darum denkt daran: Ohne mich könnt ihr nichts tun. Ihr braucht es auch nicht. Denn ich bin der Weinstock ihr seid die Reben.  Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.

Amen.

Andreas Bührer, Pfarrer