Amanduskirche

 

In einer Beschreibung des Oberamts Ludwigsburg aus dem Jahre 1859 lesen wir: „An der Ostseite des Dorfs auf einem etwa 26 m sich beinahe senkrecht erhebenden felsigen Vorsprung liegt die Pfarrkirche, zu welcher auf der Nordseite 100, auf der südwestlichen Seite 60 steile Treppen führen. Sie bildet mit dem zunächst liegenden Pfarrhaus und den beiden an der Südseite des Orts stehenden Schlössern die vom Neckartal aus gesehene malerischste Ansicht im Oberamtsbezirk“.

 


Die Amanduskirche als geistliches Zentrum, altes und neues Schloss als herrschaftliches Zentrum des uralten Dorfs Beihingen stehen jeweils an den höchstgelegenen Stellen des ursprünglichen Siedlungsbereichs. Die heutige Amanduskirche, ursprünglich eine Marienkirche, verdankt ihr Aussehen und ihre Ausstattung zum überwiegenden Teil den Ortsherren.

Ob auf dem Bergsporn hoch über dem Neckar in vorchristlicher Zeit bereits ein Heiligtum bestand, ließ sich nicht nachweisen. Welcher Art die erste Kirche an diesem Ort war, ebenso wenig. Im Jahre 844 schenkte der fränkische Adlige Adelold, vermutlich aus dem Geschlecht der Ingersheimer Grafen, „eine Kirche im Murrgau in dem Dorfe Beihingen“ dem Kloster Lorsch. Dies ist die erste Nennung einer Kirche in Beihingen.

Etwa in der Mitte des 13. Jahrhunderts muss die Kirche des Adelolds durch eine romanische Kirche ersetzt worden sein. Die unteren Geschosse des Turms und die mächtigen Mauern des Kirchenschiffs stammen noch aus dieser Zeit. Abweichend von der Regel wurde der Turm im Osten errichtet und das erste Geschoss im Inneren als Chorraum gestaltet. Dort wurden die verstorbenen Mitglieder des Herrenhofs in Grüften bestattet. Der Turm war nahezu fensterlos und mit Schießöffnungen versehen. Vielleicht bildete die Sediliennische an der Südwand einen Zugang. Die gesamte Anlage wurde von einer Wehrmauer mit Schießscharten eingefasst, innerhalb derer auch bis 1610 der Friedhof lag. Eine Wehrmauer lässt sich nicht nachweisen.

Die Herren Nothaft von Hohenberg (Hochberg am Neckar) „modernisierten“ in der Spätgotik die Kirche. Das Kirchenschiff wurde nach Westen verlängert, die romanische Westwand also entfernt. Die übrigen Wände wurden um etwa 1½ m erhöht. Dies kann man deutlich an einem an der Süd- und Nordseite im Kircheninneren verlaufenden Sims sehen, über dem die Wände deutlich schlanker  sind. Die kassettierte Holzdecke stammt gleichfalls aus spätgotischer Zeit. Die ursprüngliche Malerei mit Blumenranken ist heute durch die im Rokoko angebrachte Malerei in französischem Bandelwerk verdeckt, schimmert aber an manchen Stellen leicht durch. Die schmalen romanischen Fenster im Chorraum wurden in mühevoller Arbeit ausgeweitet und mit gotischem Maßwerk versehen. Eine neue Decke mit zwei Jochen und Kreuzrippengewölben schließen den Chorraum nach oben ab. Die beiden Schlusssteine zeigen einmal das Lamm Gottes mit Siegesfahne und das Wappen der Bauherren Nothaft, zwei silberne Schwingen auf rotem Grund. Ursprünglich wird ein Hochaltar mit der Darstellung Marias den Chor geschmückt haben. Über seinen Verbleib ist nichts bekannt. Der Triumphbogen zwischen Schiff und Chor wurde erhöht und verbreitert. Links neben der Orgel erkennt der Betrachter an der Ostwand ein ehemaliges Tabernakel (Sakramentshäuschen) im gotischen Stil. Die Beschläge sind  noch vorhanden. Über der linken Seite ist ein kleines steinernes Agnus Dei mit gelbem Heiligenschein zu erkennen. Von den ehemals zwölf gotischen Weihe- oder Apostelkreuzen sind neun erhalten, alle mit einer Verzierung aus der Renaissance umrandet. Unter der Westempore ist ein gotisches Fresko – der auferstandene Herr vor der Grabeshöhle mit einem schlafenden Wächter.

In der Südostecke des Kirchenschiffs fallen die Grabmale der beiden geharnischten Ritter ins Auge. An der Ostwand steht Bernhard V Nothaft, †1467, an der Südwand Werner VI Nothaft, †1492, sein Sohn. Dieser ließ das Alte Schloss zu einer Zweiflügelanlage erweitern (1480). Unter ihrer Herrschaft fand der gotische Um- und Erweiterungsbau statt. Beide wurden in ihrer Kirche beigesetzt. Peter Nothaft, Sohn und Bruder der Verstorbenen, Kanonikus (Chorherr) in Mainz, ließ zum Gedenken an beide im Jahre 1500 eine Kapelle errichten. Dies lesen wir auf dem Inschriftstein in gotischen lateinischen Minuskeln, der an der südlichen Außenwand der Kirche eingelassen ist. Von der Ausstattung der gotischen Kirche blieb fast nichts erhalten, da im Pfälzischen Erbfolgekrieg die Beihinger Kirche 1693 fast vollständig ausgeplündert wurde. Lediglich der romanische Taufstein aus dem ausgehenden 12 Jahrhundert und das spätgotische Kruzifix, heute am Altar, blieben erhalten.

Wann aus der Marienkirche eine Amanduskirche wurde, ist unbekannt. Wahrscheinlich geschah dies zur Zeit des gotischen Umbaus. Damals wurde in Heutingsheim die Kirche Simon und Judas vom gräflich württembergischen Baumeister Peter von Koblenz errichtet. Auch die Amanduskirche in der Residenz Urach erhielt damals ihre heutige Gestalt. Es ist anzunehmen, dass der Heilige Amandus von Urach nach Beihingen gelangte.

1534 verkaufte Heimeran Nothaft seinen Teil Beihingens an seinen Schwager Ludwig von Freyberg aus Neusteußlingen. Er wurde der Namensgeber der heutigen Stadt Freiberg und das Wappen der Freyberg, drei goldene Kugeln auf blauem Grund, ist auch das Wappen der Stadt. Während seiner Zeit setzte sich die Reformation in Beihingen durch. Er starb 1569 und wurde im Chor der Amanduskirche bestattet. Sein Grabmal steht an der nördlichen Chorwand, neben ihm das seiner Ehefrau Maria Jakobe aus Sachsenheim. Ludwig Freyberg hinterließ drei Töchter, die sich alle im heutigen Freiberg verheirateten und dort auch starben. Maria Magdalena war mit dem Ritter Hans Jörg von Hallweil (Schweiz) verheiratet. Beider Grabmale stehen an der Ostwand des Chors. Der Ritter blickt selbstbewusst und stolz. Das Grabmal ist von herausragender Qualität. Vermutlich wurde es von Samuel Schlör, dem Hofbildhauer am Stuttgarter Herzogshof geschaffen. Hallweil stand in württembergischen Diensten als Obervogt verschiedener Oberämter. Radegunde ehelichtete Friedrich von Breitenbach aus Thüringen. Ihre beiden Grabmale sind gleichfalls an der Ostwand, etwas erhöht. Breitenbach steht eher in demütiger Haltung. Er war der Erbauer des Neuen Schlosses 1573.

Unter Hans Jörg von Hallweil erhielt das oberste Turmgeschoss die spätgotischen Maßwerksfenster (1583). 1596 malte Jörg Herzog den Chor aus. An der Nordwand sind zwei Szenen erhalten, der Sündenfall mit Adam, Eva, der Schlange und dem Baum, rechts davon der Brudermord Kains an Abel. Die Inschriften in den Kartuschen sind nur unvollständig erhalten. An der Ostwand hinter der Orgel blickt der Betrachter auf Aaron und Mose und die Jahreszahl 1596. An der Südwand malte Herzog die Gestalt eines Propheten, wegen des Hallweilschen Grabmals auf der linken Seite verkürzt und neben dem Kanzelaufgang den auferstandenen Christus. Ranken, Blumengebinde, Voluten und Obstzweige um Fenster und Rundbogen schmücken den Chorraum. Im Kirchenschiff werden die Weihekreuze umrahmt, ebenso das gotische Auferstehungsfresko. Wer genauer hinblickt, erkennt eine barbusige Dame und einen nackten Knaben. Die gesamte Südwand wird mit lebensgroßen Bildern der Schriftpropheten bemalt. Die Reihe beginnt mit der Gestalt über der Kanzel. Darüber lesen wir „König“, nur welcher er sein soll, erfahren wir nicht. Von den ehemals 16 Propheten sind die letzten 5 von Habakuk bis Sacharja erhalten geblieben und am besten von der Westempore aus zu betrachten. Warum die 11 Vorgänger in der Reihe fehlen, lässt sich folgendermaßen erklären.

1620 lässt Ludwig von Hallweil die Kirche erweitern. Anlass ist, dass der Herrschaftsstuhl aus der Gotik im Kirchenschiff links neben dem Triumphbogen nicht ausreicht, um die verschiedenen Herrschaftsfamilien aufzunehmen. Deshalb wird beschlossen, einen neuen „Fürsten- oder Herrschaftsstuhl“ zu errichten. Die Nothaftsche Kapelle wird abgerissen und nahezu die gesamte Südwand des Kirchenschiffs entfernt. Es wird nach Süden hin erweitert – daher der unsymmetrische Innenraum – eine Empore wird eingebaut, dazu ein separater Eingang in Form eines Rundturms mit welscher Haube. Dieser Treppenturm prägt neben dem Chorturm ganz entscheidend die Beihinger Amanduskirche. Neben dem Nothaftschen Inschriftstein wird an der Südwand außen ein weiterer rechts davon angebracht, in deutscher Sprache und gut zu lesen. Im Schiff erinnern die Buchstaben HP (Hans Pflugfelder) und MS (Michael Schwarz) und die Jahreszahl 1620, in einen hölzernen Pfeiler eingeschlagen, an den Umbau, ebenso eine in Preußisch Blau bemalte Säule auf Gips mit Holzkern.

An der Westwand über dem Treppenaufgang zur Empore hängt ein Bildwerk, ein Epitaph. Es erinnert an die im Alter von 18 Jahren verstorbene Elisabeth von Göler. Unter einem Portrait der Verstorbenen wird in einem Bild das Gleichnis von den 5 klugen und 5 törichten Jungfrauen dargestellt, darunter ein Sinnspruch geschrieben.

Während im Dreißigjährigen Krieg Beihingen einigermaßen glimpflich davonkam, wütete im Pfälzischen Erbfolgekrieg die französische Soldateska verheerend. Die Häuser wurden geplündert, die Feldflur leergeräumt, Vieh geschlachtet, Obstbäume  und Weibergpfähle. verbrannt. Die Bevölkerung war nach Marbach geflohen, doch auch diese Stadt bot keine Sicherheit und wurde gebrandschatzt. Nach der Rückkehr fanden die Überlebenden ihre Amanduskirche leergeräumt, Kanzel, Gestühl, Türen, Fenster, Glocken, Abendmahlsgerät, Kirchenbücher waren verbrannt oder mitgenommen.

Nach und nach wurde alles ersetzt. Die Ortsherrschaft war von den Hallweil an die Herren von Gemmingen-Hornberg übergegangen. Ludwig von Gemmingen, Vizepräsident am Oberapellationsgericht in Celle, war als älterer Herr in sein Schloss in Beihingen aufgezogen. Federführend betrieb er die Renovierung der Kirche im Jahre 1752. Der Kunstmaler Johannes Stiegler aus Prag sollte die ganze Kirche ausmalen und verschönern. Dazu wurde ein Vertrag zwischen beiden Ortsherrschaften und dem Maler geschlossen, in dem minutiös festgehalten war, welche Arbeiten der Maler zu erledigen hatte. Bis heute prägen Hans Stieglers Malerarbeiten das Kirchenschiff entscheidend. Die in „Berliner Blau“ marmorierten Emporen und Säulen, an der Kanzel und am Orgelprospekt. Das evangelische Bildprogramm an den Emporen, die Schablonenmalerei an der gotischen Decke, das Bandelwerk an den Fensterleibungen. Die Südempore zeigt Jesus in der Mitte als Salvator Mundi mit Schwurhand und Weltkugel, umrahmt von den ersten Jüngern, den Brüderpaaren Petrus und Andreas, Johannes und Jakobus. Links und rechts schließen sich weitere Apostel an. In der Ecke zur Westempore finden sich Paulus und die 4 Evangelisten. An der Westempore beginnend sieht der Betrachter in chronologischer Reihe die Erschaffung der Eva, den Sündenfall, Arche Noah, Abraham, Jakob, verschieden Mosebilder, überwiegend an der Nordempore, bis zur Einweihung des Jerusalemer Tempels. Dann beginnt das Neue Testament mit Johannes dem Täufer, der Geburt Jesu, verschiedenen Gleichnissen, Abendmahl, Tod, Auferstehung Himmelfahrt und Jüngstem Gericht. Ungefähr in der Mitte ist das Bild „Luther und der Schwan“ zu sehen, es erinnert daran, dass in dieser evangelischen Kirche das Wort, die Verkündigung im Mittelpunkt steht. Dargestellt ist Luther, der nach Matt. 5 das Licht vom Scheffel befreit. Zu seiner Linken ist ein Schwan, der an der Reformator Johannes Hus aus Tschechien erinnert. Die Kanzel wurde neu gefertigt. Der Schalldeckel ist älter und weist an der mit Türmchen versehenen Umrandung den Spruch „ selig seind, die Gottes Wort heren und bewahren“ auf. Rechts neben der Kanzel ist das Epitaph für den in jungen Jahren verstorbenen Eberhard von Gemmingen. Daneben das riesige barocke Epitaph seines Vaters, auf dem die Bedeutung des Verstorbenen, zum Teil in Gedichtform, hervorgehoben wird (1771). Noch zu seinen Lebzeiten erhält die Amanduskirche eine neue Orgel, entworfen von dem Orgelbaumeister Johannes Weinmar aus Bondorf bei Herrenberg (1766). Der Originalrokokoprospekt beeindruckt noch immer Besucher unserer Kirche. Das heutige Werk selbst stammt aus dem Jahre 1981 und entspricht in der Disposition in weiten Teilen der des Johannes Weinmar.

Die letzte Renovierung des Innenraums fand in der Zeit von 1958 -1960 statt. Damals erhielt die Kirche ein neues Gestühl, den roten Klinkerfußboden und es wurden sämtliche heute sichtbaren Fresken unter dem Putz freigelegt.

Peter Schwarz

Link zum Rundumblick in der Amanduskirche