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31.01.20201 - Predigt zum letzten Sonntag nach Epiphanias 2021

Predigt am letzten Sonntag nach Epiphanias 2021 (Bibelsonntag), 31. Januar, 10:30 Uhr, Amanduskirche

Text: Lukas 17, 20+21

Liebe Gemeinde,

Gegen die Erstarrung der Religion, bezweifelnd die Ferne Gottes

Für die Lebendigkeit der Religion, kündend die Nähe Gottes.

So könnte man das Wirken Jesu aus heutiger Sicht beschreiben. Natürlich, keiner von uns war dabei. Was wir von Jesus kennen, nehmen wir aus den Überlieferungen des Neuen Testamentes. Wir sind keine Augen - und Ohrenzeugen mehr.

Aber nach allem, was wir bislang erfahren haben, ist Jesus gegen die Erstarrung der Religion angetreten und hat die Ferne Gottes bezweifelt. Stattdessen zog er mit einer Gruppe von Männern und Frauen durch das heutige Israel und brachte die Religion unters Volk, brachte sie ins Gespräch, überließ sie nicht den Priestern, den organisierten Gruppen, die sich für berufen hielten,

sondern lebte vor und vermittelte den Glauben an den großen und mächtigen Gott, den Gott Israels, den Herrn der Welt, auf eine ganz neue Weise.

Nannte ihn ganz ausdrücklich Abba, wir würden sagen Papa, nahe wie ein leiblicher Vater, und stellte Bilder und Vergleiche von seiner Gegenwart an, erzählte, um sich den Menschen verständlich zu machen, von einem großzügigen Weinbergbesitzer, der am Ende des Tages allen den Lohn gibt, den sie zum Leben brauchen, verglich seine Botschaft von Gottes Nähe mit der Kraft eines kleinen Senfkorns, aus dem ein respektabler Baum wächst, mit der alles verändernden Wirkung eines Schatzes, den ein Mann in seinem Acker fand und dafür dann sein ganzes bisheriges Leben aufgab.

Gegen die Erstarrung der Religion, bezweifelnd die Ferne Gottes, für die Lebendigkeit der Religion, kündend die Nähe Gottes.

Natürlich ist er damit angeeckt, dieser Jesus aus Nazareth, dieser Zimmermannssohn aus Galiläa. Nicht beim Volk, nicht bei den gewöhnlichen Leuten, mit denen er gerne zusammen war.

Die fanden ihn beeindruckend, die suchten seine Nähe, seinen Esprit, seine unverstellte Art, seine spannenden Geschichten und nicht zuletzt seine heilsame Kraft, seine Wundertaten, die sich herumsprachen, die ihn populär machten, faszinierend. Er war halt keiner, der sprach und lehrte wie die Schriftgelehrten, sondern einer mit Aura, mit einer Klarheit, als hätte er eine Art Vollmacht dafür. Das fanden sie cool.

Doch was die einen cool fanden, war für die anderen logischerweise gar nicht angesagt. Kein Wunder, dass gerade die Schriftgelehrten und in der Religion Gebildeten seine Autorität in Frage stellten.

Mit meinen Siebtklässlern sprach ich diese Woche per Videoschalte über die Geschichte von der Tempelreinigung, die bei Johannes ganz am Anfang seines Evangeliums erzählt wird.

Es wurde uns dabei klar, dass Johannes seinen Lesern sagen will: Von Anfang an waren die Vertreter der Religion gegen Jesus. Das fing damit an, dass er die gewohnte Ordnung im Tempel, die in seinen Augen eine Unordnung war, gehörig durcheinanderbrachte, indem er alle Händler und Geldwechsler vertrieb. Hinterher sei er dann von den Hütern der Religion gefragt worden, aus welcher Autorität heraus er das tue. Doch seine Antwort hätten sie nicht verstanden.

Ich muss gestehen, dass ich die Bedenken der Schriftgelehrten durchaus nachvollziehen kann, wir sollten sie nicht vorschnell als unwichtig abtun. Versetzen wir uns in ihre Lage:

Wer im Namen der Religion spricht oder handelt, braucht schon eine Legitimation. (Das erwarten wir ja heute auch.) Er muss die heiligen Schriften studiert haben, er muss im Range eines Priesters sein oder einem anderen heiligen Stand angehören.

Jesus ist nichts dergleichen.  

Er ist der Sohn eines Zimmermanns aus Nazareth. Was kann von dort schon Gutes kommen, aus Galiläa? Natürlich sind da auch Vorurteile dabei. Aus bestimmten Regionen oder Stadtteilen kommen eher die Problemfälle, dieser Auffassung sind wir heute auch.

Dieser Jesus ist halt einer von diesen Unruhestiftern, dachten sie, einer von denen, die sich gerne selbst eine Autorität verleihen und damit dann das Volk aufwiegeln und die heilige Ordnung stören. Das hat noch selten etwas Gutes bewirkt.

Weiß er eigentlich, wovon er spricht, wenn er das Wort Gott in den Mund nimmt? Schließlich steht fest, dass man es mit einem im Grunde unbeschreiblichen, unvorstellbaren Gott im Himmel zu tun hat, wie bei Jesaja angedeutet, sein Thron von sechsflügeligen Engeln umgeben, die ihm das Heilig, Heilig, Heilig zurufen, während sein himmlischer Glanz alles erfüllt.

Dieser Jesus aber, der sagt Papa.

Das ist eine Anmaßung, ein unzulässiger Angriff auf seine Autorität, der man widersprechen muss. Und wie sonst auch gilt hier erst recht das Prinzip: Wehret den Anfängen!

Ich denke, es ist uns deutlich geworden, dass es für die Hüter der Religion damals nicht leicht war, es mit Jesus auszuhalten.

Wir haben es da viel einfacher. Wir kennen ihn ja nicht anders. Uns nimmt er nichts von unserem Glauben weg, uns führt er nicht auf unbekanntes Terrain. Sondern wir sind ja die, die mit seinen Gottesvorstellungen groß geworden sind, mit seinen Geschichten, mit seinem Evangelium.

Wir freuen uns daran, dass er die Erstarrung der Religion beendet und die Ferne Gottes bezweifelt hat, dass er eingestanden ist für die Lebendigkeit der Religion und uns die Nähe Gottes verkündet hat.

Das ist unsere DNA. Die DNA von Christinnen und Christen im Jahr 2021.

Wir freuen uns daran, dass Jesus auf die Frage der Pharisäer: „Wann kommt das Reich Gottes?“ sagen konnte: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußerlichen Anzeichen erkennt. Es ist nicht möglich zu sagen: Hier ist es oder dort! Nein, sondern das Reich Gottes ist mitten unter euch!“

Denn diese Sätze bringen uns auf die richtige Fährte, wenn wir nach dem Reich Gottes fragen.

Es geht, wenn ich Jesus recht verstehe, nicht um bestimmte Systeme oder gute Gesetze, in denen das Reich Gottes zu finden wäre.

Es geht nicht um bestimmte heilige Orte oder Gebäude, wo man Gott in jedem Fall antreffen kann.

Es geht auch nicht um die richtige Konfession und eine klar definierte Glaubenspraxis.

Es geht nicht um ein wertvolles Prinzip, eine schöne Idee.

Das Reich Gottes ist noch nicht gewiss, wenn ich zu einem Fremden sage: Hier ist die Bibel, lies diesen Satz. Der zeigt dir das Reich Gottes.

Das Reich Gottes ist noch nicht vorhanden, wenn ich meine persönlichen Gelübde oder Tagesregeln befolge. 

Sondern es ist da, wo Religion lebendig und die Nähe Gottes spürbar wird.

Wenn Gott keine Idee mehr ist, kein Prinzip, keine ferne Himmelsgestalt, von der man doch nichts Genaues weiß, und wenn diejenigen, die an ihn glauben, nicht mehr für den Erhalt der rechten Ordnung streiten, nicht mehr für die korrekten Formen und Worte, nicht mehr für ihre eigenen Positionen, sondern wenn sie - von alledem befreit- sich auf die Liebe einlassen, die Güte, die Freundlichkeit, die Hoffnung, wenn von ihnen ein Leuchten ausgeht, ein Licht für die Dunkelheiten dieser Welt, dann ist das Reich Gottes mitten unter uns.

Das kann in ganz alltäglichen Dingen geschehen, hat Jesus gesagt. Und fast immer ist es ein Schwimmen gegen den Strom.

Gottes Reich wird sichtbar, wenn sich ausgerechnet ein Ausländer um einen Einheimischen kümmert, der von Räubern überfallen wurde. Er wäre zu nichts verpflichtet gewesen, aber er hat es trotzdem getan.

Gottes Reich wird sichtbar, wenn ein Gastgeber, der von seinen Gästen mit lauter Absagen enttäuscht wird, stattdessen Leute einlädt, die sonst nie zu einem Festessen eingeladen werden. Der Gastgeber hätte auch einfach nur wütend sein können, aber er hat seine Wut in eine großzügige Geste verwandelt.

Wieder muss ich an meine Schülerinnen und Schüler denken, dieses Mal an die neunte Klasse und ihre Referate über besondere Menschen.

An Rosa Parks, die im Jahr 1955 in Montgomery im Bus sitzen blieb, als man sie aufforderte, für einen Weißen Platz zu machen. Denn sie hat die damals herrschende, christlich verbrämte Lebenspraxis als Unrecht entlarvt.  

An Nick Vujicic, den Mann ohne Arme und Beine, der so vielen jungen Leuten auf der ganzen Welt zeigt, wie man auch ohne seine Gliedmaßen ein ganzer, ein froher Mensch sein kann, weil Gott kein bisschen nach dem Äußeren schaut und jeden Menschen liebt, wie er ist.

Auf solche Dinge, auf solche Menschen sollen wir achten, sagt Jesus durch seine Antwort an die Pharisäer, dann sehen wir, dass es schon mitten unter uns ist, das Reich Gottes. ----


Heute (Morgen), liebe Gemeinde (liebe Mitglieder des Besetzungsgremiums), ist der ökumenische Bibelsonntag, für den diese Bibelstelle ausgewählt wurde.

Und sollte dahinter eine Absicht stecken, dann auf alle Fälle eine gute.

Denn wir werden durch diese Bibelstelle ganz eindeutig aufgefordert, auf die Dinge und Menschen zu achten, deren heilsame Wirksamkeit noch im Werden begriffen ist, auf Menschen, die gegen den Strom schwimmen, die Mut und Phantasie und Liebe zu ihren Kennzeichen machen, um das zu überwinden, was noch verhärtet ist, was noch gegen die Nähe Gottes steht und gegen die Lebendigkeit der Religion.  

Wir werden aufgefordert, unsere Träume nicht zu vergraben, sondern sie mit anderen zu teilen und lebendig werden zu lassen.

Wir werden ermutigt, uns an ermutigenden Geschichten aufzurichten und der Ermüdung vorzubeugen.

Wir sind eingeladen, die kleinen Zeichen zu sehen und an ihnen unsere Zuversicht zu stärken.

Wir werden darin gestärkt, nicht auf diejenigen zu hören, die wollen, dass alles so bleibt, wie es jahrhundertelang war.    

Unser unerschrockener Mut ist gefragt.

Und so sind wir damals wie heute eingeladen, an das Reich Gottes in unserer Mitte zu glauben, es nicht aufzugeben, sondern, im Gegenteil, es in seiner ganzen Schönheit aufleuchten zu lassen.

Nicht, dass wir das einfach machen könnten. Aber wir können Gott bitten, dass es in unserem Tun und Lassen wirksam und sichtbar werde für andere, für diese Welt.

AMEN.

 

Pfarrer Andreas Bührer


 

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