Ev. Kirche Freiberg a.N.

14.03.2021 - Predigt am Sonntag Lätare 2021, (Tag der Landtagswahlen)

Predigt am Sonntag Lätare 2021, 14.März (Tag der Landtagswahlen), Nikolauskirche/Amanduskirche

Liebe Gemeinde,

heute haben wir die Wahl! Heute wird der neue Landtag in Baden-Wü gewählt und damit die Regierung für die kommenden 5 Jahre.

Seit Wochen werben die Kandidatinnen und Kandidaten um unser Vertrauen und hoffen, dass wir heute das Kreuzchen an der richtigen Stelle machen.

Denn diese Männer und Frauen, die wir auf den Wahlzetteln finden, haben sich entschlossen, erstmals oder auch zum wiederholten Mal, Einfluss zu nehmen auf das politische Geschehen in unserem Land.

Und dafür haben sie sich gezeigt und präsentiert und wollen von uns gewählt werden.

Wir haben also die Wahl! Und die allermeisten von uns, vielleicht sogar alle, die wahlberechtigt sind, werden diese Wahl auch schon getroffen haben.

Unser Bibeltext heute erzählt eine kleine Episode aus dem Johannesevangelium, wo es im Grunde auch um Wahlen geht, natürlich nicht vordergründig, aber zumindest auf den zweiten Blick.

Ich lese Johannes 12, 20-24

Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus. Der von Bethsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas und Philippus und Andreas sagen es Jesus weiter. Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.

Unsere Geschichte spielt sich kurz vor dem letzten Passahfest ab, das Jesus erleben sollte. Das Passahfest, an dem er zum Tod verurteilt werden sollte, entsprechend unserem Karfreitag und Ostern.

Wir sind also sozusagen in der Karwoche angelangt, die Leute kamen von überallher nach Jerusalem auf den Zionsberg gestiegen, auch einige Griechen waren darunter, schreibt Johannes, und damit meint er solche, die zum Judentum übergetreten waren, die sich also auch nach den Bräuchen des jüdischen Glaubens richteten. Keine Juden von Geburt an, -- nach jüdischer Auffassung ist man Jude oder Jüdin, wenn man eine jüdische Mutter hat--  sondern Fremde, in diesem Fall Griechen, die freiwillig hinzugekommen waren.

Diese Wahl hatten sie also schon getroffen für ihr Leben, sie wollten zum Volk der Kinder Israels gezählt werden, sie wollten bewusst in der Tradition und den Überlieferungen von Abraham und Sara, von Mose und Aaron und all den Prophetinnen und Propheten stehen.

Ich halte das nicht nur für eine Randnotiz, denn wir hören und lesen hier von Menschen, die eine Entscheidung für ihr Leben getroffen haben, eine Wahl, zu der sie nicht gezwungen waren. Und das ist eine Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie sich das in unserem Leben darstellt.

Wir sind ja in der Regel Hineingeborene, als Kinder in die Religion und Konfession Hineingetaufte. Auch ihr Konfirmanden wurdet in der Regel als Kinder getauft, es war nicht eure Wahl.

Was bedeutet das für unser Leben?

Zum einen natürlich Heimat, Vertrautheit, Gewohnheit. Der Kirchgang an Weihnachten, die besonderen Anlässe, Gemeindefest. Reliunterricht, dann aber die Konfirmation, im Grunde eure erste Wahl, wenn ihr es recht bedenkt. Ihr müsst es nicht machen. Es ist eure Entscheidung. Und später steht ihr vor der Wahl: Kirchliche Hochzeit und Taufen für die Kinder?

Nun, ich bitte mich nicht falsch zu verstehen, so eine Heimat ist nichts Schlechtes. Ich selbst habe es immer geschätzt eine solche Heimat zu haben, solche Wurzeln, sie sind für mein Leben wichtig und unverzichtbar. Ich bin sehr dankbar, dass ich in diese Gemeinschaft der Christen ungefragt hineingenommen wurde.

Aber trotzdem ist mir irgendwann in meinem Leben klar geworden, dass ich eine Wahl treffen muss:

Will ich wirklich, auch persönlich und innerlich dazugehören? Will ich diese Heimat auch selbst haben, nehme ich sie aktiv an?

Denn ich bin überzeugt, dass viele sich deshalb schwer tun mit dem Glauben, mit dem Vertrauen auf Gott, der um uns wirbt durch seinen Sohn Jesus Christus wie jetzt die Kandidatinnen und Kandidaten zur Landtagswahl, weil sie diese eigene, freie Wahl gar nie getroffen haben.  

Deshalb haben viele eine Religion ohne sie zu leben. Ohne ihr ein Gesicht zu geben. Weil Religion einfach immer schon da war! Sie sind heute nicht hierhergekommen und auch sonst kaum da, weil sie die Wahl nicht getroffen haben für sich selbst.

Die meisten Kirchenmitglieder verhalten sich so, als würden sie sagen: Etwas, was immer schon da ist, muss man nicht wählen. Man wählt ja auch Vater und Mutter nicht aus und seine Heimat auch nicht, seine Nationalität.

Man gehört halt dazu.

Aber grade das kann zu einer Verhinderung der eigenen Stellungnahme führen, nach dem Motto: Ich bin halt mal Baden-Württemberger, ich bin Deutscher. Demokratie ja, aber muss ich dafür wählen? Ich bin Mitglied der Kirche, ja, aber dafür muss ich doch sonntags nicht in die Kirche springen. –

Doch. Genau das macht eine Wahl zu einer Wahl. Das muss man tun, wenn die Sache lebendig sein soll. 

 

Schauen wir auf diese Griechen bei Johannes.

Sie hatten eine Wahl für ihr Leben getroffen, die nicht vorgezeichnet war, sondern eine bewusste Entscheidung. Wir wollen zum Judentum gehören.

Und wie es so ist bei Menschen, die für sich eine Wahl getroffen haben: Sie gehen die Sache bewusster an. Sie sind aktiver. Sie gehen hinauf nach Jerusalem und nehmen am Fest teil, weil sie wissen:

Nur die Gemeinschaft, nur die Religion, an der man teilnimmt, bekommt ein Gesicht in meinem Leben, Alles andere ist eine Formalität. Wenn ich die Traditionen nicht in mir selbst zum Leben bringe, sind sie ein Muster ohne Wert. Dann hängen sie wie alte Kleider im Schrank, die man zwar aus Sentimentalität nicht wegwerfen will, die man aber auch nicht mehr anzieht.

Ihre erste Wahl, zum Judentum hinzugehören zu wollen, führt also in der Konsequenz zu einer zweiten: Nämlich aktiv zu sein, an den Bräuchen der Religion teilzunehmen.

Doch auch dabei bleiben sie nicht stehen. Sie treffen nämlich auf diesem Fest eine dritte Wahl. Sie wollen Jesus sehen. Diesen ganz besonderen Mann des Glaubens. Der hat es ihnen angetan. Der hat sie offenbar beeindruckt. Wir erfahren nicht, was sie beeindruckt hat, wir erfahren nur, dass sie ihn sehen wollen.

Und so wenden sie sich an die Kontaktleute von ihm, an seine Jünger, in diesem Fall an Philippus, der wiederum Andreas findet und beide gehen zu Jesus. Da ist viel Bewegung drin, merken wir das? Ich weiß nicht, ob Johannes das bewusst war, als er das erzählt hat, aber es hinterlässt beim Lesen oder Zuhören den wichtigen Eindruck, dass Jesus kein Einzelkämpfer war.

Dass er ein Team hatte von Leuten um ihn herum. Wie in der Politik auch kann die Kirche nur funktionieren, wenn Menschen sich engagieren, wenn sie ihren Platz einnehmen. Wenn Verbindungen entstehen, Netzwerke. Philippus auf dem Außenposten, dann geht es zu Andreas weiter, dann zu Jesus.

Darum bin ich heute – bei allem Verdruss und alle Not über Corona froh – dass unsere Gottesdienste nun viel teamorientierter geworden sind. Nicht nur die Organistin und der Pfarrer halten den Gottesdienst, sondern aktive Sängerinnen und Sänger haben sich eingefunden und heute noch mein Sohn Valentin als Liturg, das Ganze ist nun ein Team, eine Mannschaft, -- und so wird Religion lebendig, so wird sie bunt.

Das sollte auch nach Ende der Pandemie unbedingt so bleiben, finde ich.

Weil Religion, weil die Kirche davon lebt, dass Menschen eine Wahl treffen, nämlich die Wahl sie aktiv in ihr Leben zu integrieren. Mitzumachen. Davon lebt Kirche. Ohne dieses Engagement kann sie nicht wirksam sein. Ohne diese Wahl sie zum Museum.

Das wird übrigens auch durch die Antwort Jesu deutlich:

Nun wird der Menschensohn verherrlicht, die Stunde dafür ist gekommen. Denn wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. 

Die entscheidende Stunde ist da. Ihr Griechen habt den richtigen Zeitpunkt gewählt. Denn in dem, was jetzt geschehen wird, in dem Dunklen, in meinem Leiden, in meinem Sterben, liegt bereits der Keim für das neue Leben, für die Frucht. Darum muss dieser Tod ebenso sein so wie der Tod eines Weizenkorns in der Erde. Nur wenn es dort stirbt, sich also verwandelt in eine neue Gestalt, kann es Frucht bringen, viel Frucht bringen. Würde es zuhause auf dem Tisch liegen bleiben, dann bliebe das Korn alleine, ohne Wirkung. 

Es muss also in die Erde, damit Frucht entsteht. Und so muss auch der Menschensohn, also ich, Jesus, sterben am Kreuz. Und dann begraben werden. Damit Frucht entsteht. --- Das hat Jesus den Griechen, die ihre Wahl für ihn getroffen hatten, ausrichten lassen.

Und damit, und das können wir heute wirklich sehen, hat Jesus absolut Recht behalten. Wir würden heute nicht mehr von ihm hören oder lesen, wenn er hochbetagt und friedlich gestorben wäre. Wir würden nicht von ihm hören, wenn keiner sein Leben in Gefahr gebracht und zum Tode verurteilt hätte.

Sagen wir es positiv: Wir hören heute von Jesus, weil es Ostern gegeben hat. Die Auferstehung vom Tod. Die große Frucht seines Lebens. Nur deshalb sind wir heute Morgen hier, wie die Griechen, die Jesus sehen wollten. Indem wir aktiv teilnehmen, indem wir uns einbringen, indem wir Kirche an vielen Stellen erleben, sind wir selbst eine Frucht dieses Geschehens. Wir sind eine Frucht dieses Geschehens – ist das nicht eine ganz besondere Würde, die uns da zuteil wird?

Und immer dann, wenn wir teilnehmen, ob im sozialen, im diakonischen oder im gottesdienstlichen Bereich, haben wir eine gute Wahl getroffen. 

Amen.

Pfarrer Andreas Bührer