Gottesdienst an Ostersonntag 2021, 4. April 2021, 10:30 Uhr, Friedhof Beihingen
Text: 2. Mose 14, 8-14.19-23.28-30a; und 15, 20-21
Liebe Festgemeinde am Ostermorgen,
wie tröstlich ist es, dass wir Ostern feiern dürfen in diesem Jahr. Letztes Jahr war alles abgesagt, es gab Gottesdienste nur auf dem Bildschirm. Das war nicht schlecht, viel besser als nichts, aber es kann doch an die Wirklichkeit des Geschehens von Ostern nicht heranreichen.
Es kann unser Zusammenkommen, selbst wenn es mit Abstand geschieht, nicht ersetzen. Weder das Licht noch den Frühling, vor allem aber die gemeinsame Erfahrung nicht. Denn Ostern, das muss man spüren, das muss einem durch Herz und Verstand, durch Körper und Seele dringen so wie den Frauen, die des morgens an sein Grab gekommen waren.
Sie erlebten Ostern ganz unmittelbar als Ereignis, als Ereignis einer Veränderung, die sie überhaupt nicht erwartet hatten, die sie zunächst auch gar nicht erfreute, sondern entsetzte. Jesus ist nicht mehr da, das Grab ist leer, was für ein Erschrecken wäre das, wenn wir am Grab eines geliebten Menschen solch eine Erfahrung machen würden.
Das kann man nur bedingt erzählen, im Evangelium des Markus haben die Frauen sogar geschwiegen, so sehr haben sie sich gefürchtet. Denn wer soll, wer kann das glauben? Noch dazu diese Engelserfahrung, die ja überhaupt nicht in Worte zu fassen ist?
Und grade deshalb ist es mir persönlich so wichtig, dass ich heute mit Euch und Ihnen auf diesem Friedhof stehen kann, denn wir dürfen als Christenmenschen nicht nur den Tod als real empfinden, sondern eben auch das, was an Ostern dagegen gesagt wurde: „Ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten! Den wir am Karfreitag betrauert haben. Und mit ihm auch eure Toten, um die ihr weint. Jesus aber ist auferstanden, er ist nicht hier. Seht die Stätte, wo er gelegen hat! --- Und weil Jesus nicht im Tod geblieben ist, sollt ihr auch für eure Nächsten, eure Liebsten glauben, dass der Tod nicht das letzte Wort haben wird.
Das Grab ist nicht das letzte Wort. Nicht das letzte Wort des lebendigen Gottes.
Schon immer hat er Menschen aus dem Tod, aus dem Verderben ins Leben gezogen. Hört dazu folgende Geschichte, die uns heute gegeben ist:
Text aus dem zweiten Mosebuch (siehe oben)
Liebe Ostergemeinde,
erst vor ein paar Tagen las ich in der Zeitung von einem Mann, der 14 Tage lang vor Thailand im Meer offenen trieb, nur an einer Holzplanke hängend, die von dem Schiff übrig war, auf dem er gearbeitet hatte und das untergegangen war.
14 Tage lang im Wasser. Wie ist das möglich?
Und ich habe mich gefragt: Was würde dieser Mann uns heute Morgen erzählen, wenn er hier wäre? Was für eine Wundermacht würde seine Geschichte begleiten? Für uns ist das beim ersten Hören überhaupt nicht vorstellbar, wie das gehen soll. Ohne Trinken, ohne Essen, ohne richtigen Schlaf.
Aber genauso aus diesem Stoff sind echte Wunder gemacht! Einfach unbegreiflich!
Und was wir hier eben gehört haben, diese berühmte Rettungsgeschichte aus dem Buch Exodus, das ist ja eben auch so ein unfassbares, mit Worten nicht zu beschreibendes Wunder. Ein Wunder, das sich dem kollektiven Gedächtnis des Volkes Israel bis heute ganz tief eingeprägt hat, an jedem Passahfest wird davon erzählt. Auch wenn tausende Jahre darüber hinweg gegangen sind, dieses Wunder muss verlebendigt werden. Alle Generationen sollen es wissen: Jahwe ist ein rettender Gott! Ein Leben schenkender Gott!
Denn eines ist doch mehr als klar: Die Flüchtenden damals hatten den Tod vor Augen, das sagen sie ja auch: „Gab es nicht Gräber in Ägypten, dass du uns hier in die Wüste führen musstest, um zu sterben? Warum hast du uns das angetan, Mose?“
Merken wir: Das ist die absolute Aussichtslosigkeit, die völlige Preisgabe jeder Hoffnung, die absolute Todesgewissheit, die hier zum Ausdruck kommt. Das ist noch viel mehr als wir es sonst aus dieser Fluchtgeschichte kennen, wenn die Geplagten ihrem Anführer Mose vorwerfen: „Dort in Ägypten hatten wir wenigstens Fleisch zu essen, da gab es die später sprichwörtlich gewordenen Fleischtöpfe, und hier verhungern wir.“
Doch jetzt, in diesem Augenblick, als die Ägypter ihnen nachjagen und sie in der Falle sitzen am Ufer des Schilfmeeres, noch nichts ahnen können von dem Wunder, das bald geschehen wird, da ist allen ganz klar, dass niemand diesen Angriff überleben wird. Und deshalb sagen sie: „Dort in Ägypten hatte es auch Gräber, wo wir begraben hätten werden können, stattdessen sind wir hier draußen in der absoluten Verlorenheit, im Nichts, wo auch später keine Menschenseele um uns trauern wird.“ Das ist für einen Juden, eine Jüdin ein Zeichen absoluter Verlorenheit: Irgendwo verscharrt werden, irgendwo im Nirgendwo, weit außerhalb der eigenen Gemeinschaft.
Tiefer können die eigenen Hoffnungen nicht sinken, liebe Ostergemeinde. Und deshalb ist dieser Text auch für den Ostersonntag gewählt worden, als Beispiel dafür, wie sich Verlorenheit anfühlt, bevor sich das Wunder ereignet. So haben es auch die Jüngerinnen und Jünger Jesus empfunden, bevor Ostern geschah:
Alles aus, alles verloren, der Traum jäh zerplatzt, der Tod hat gesiegt.
Und so haben doch auch wir schon manches Mal erlebt und empfunden: Alles zu Ende, nichts mehr da vom alten Leben, wo ist noch der Sinn, wo die Hoffnung? Wo die gute Zukunft?
Das ist genau die Lage derer, die Ostern erleben, ein Osterwunder, ein Wunder der Auferstehung. Die Lage des Mannes, der 14 Tage lang im Indischen Ozean trieb, an einer Holzplanke hängend. Die Lage vieler verzagter, verlassener, trauernder, kranker Menschen heute.
Und es war auch die Lage der Israeliten, die den sicheren Tod vor Augen hatten. Wie sollten sie auch annehmen, dass die Worte des Mose in Erfüllung gehen sollten:
„Fürchtet euch nicht, steht fest und seht zu, was für ein Heil der HERR heute an euch tun wird. Denn wie ihr die Ägypter heute seht, werdet ihr sie niemals wiedersehen. Der HERR wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein.“?
Wir würden einen großen Fehler machen, wenn wir nun das, was hier im Einzelnen beschrieben wird, die Wolke und ihre Wirkung, und das Meer, das sich teilt und die ganze Rettung irgendwie erklären oder beweisen wollten. Denn Wunder, die Menschen erleben, sind von der Art gestrickt, dass sie nicht objektivierbar sind. Sondern sie werden und sind wahr für den, der sie in seiner Tiefe und seiner Bedeutung erlebt. Das kann von anderen allenfalls gehört und nachvollzogen, aber nicht verifiziert werden.
Ich habe schon hier und da erzählt: Meine Wolkenerfahrung in der Po-Ebene Italiens während meines Pilgerwegs nach Rom ist auch meine persönliche Wolkenerfahrung. Ich will sie nicht vergessen, solange ich lebe. Es ist aber nicht deine oder Ihre Erfahrung. Für mich war und ist sie ein göttliches Zeichen.
Die Erfahrung, die die Frauen am Ostermorgen am Grab Jesu gemacht haben, ist ihre persönliche Erfahrung. Sie ist nicht objektivierbar, lediglich glaubbar. Dass Markus davon schreibt, dass sie darüber entsetzt waren, macht sie für mich persönlich viel glaubhafter, als wenn er gleich davon berichtet hätte, dass sie gejubelt hätten.
Und so machen Menschen bis heute Erfahrungen, dass mitten in tiefstem Leid und mitten in absoluter Aussichtslosigkeit sich auf einmal alles wendet. Alles verändert, was sie vorher nie für möglich gemacht hätten. Dass auf einmal das Leben sich Ihnen wieder zuwendet, dass sich Türen öffnen, der Boden festigt und sie wieder aufstehen und gehen können.
Nicht immer so, wie wir das in unserer Suche nach Gottesbeweisen gerne hätten. Nicht in der Umkehrung des Ereignisses, das uns bedrückt. Denn bitte bedenken wir: Auch Jesu Auferstehung, von der wir heute sprechen, war ja keine Rückkehr in sein vorheriges Leben, sondern der Beginn einer neuen Existenz, die er angetreten hat. Ostern ist also nicht einfach die Umkehrung, die Zunichtemachung des Todes. Nein, wir sterben weiterhin.
Aber Ostern ist die Verwandlung, die Metamorphose des Todes als Sinnbild für das neue Leben. Als unumkehrbare Hoffnung über den sichtbaren Tod hinaus. Als Kraft zum Weitergehen, Weiterglauben, als Motivation, Lieder vom Leben zu singen.
So wie Miriam es getan hat, die Schwester von Mose und Aaron. Sie hat zur Pauke gegriffen und einen neuen Takt geschlagen, den Takt des Lebens, das über den sicheren Tod triumphiert.
Und darum, liebe Ostergemeinde, ist es so wichtig, dass wir hier sind. Denn auch hier, auf diesem Friedhof, an diesem Ort der Toten, erklingt heute das Lied des Lebens.
Amen.
Pfarrer Andreas Bührer