Gottesdienst am 6. Sonntag nach Trinitatis 2020, 19. Juli, 10:30 Uhr, Pfarrgarten der Amanduskirche
Text: Hebräer 13, 1-3
Liebe Gemeinde,
ich beginne mit dem zweiten Vers unseres Textes:
Vergesst nicht, Gastfreundschaft zu üben, denn auf diese Weise haben einige, ohne es zu wissen, Engel bei sich aufgenommen.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber Gastgeber zu sein, das macht mir viel Freude, was gibt es Schöneres, als anderen eine Freude zu machen, als anderen zu dienen? ….
Obwohl das schon eine bewusste Umkehrung aller Werte ist, die in dieser Welt gelten! Denn in der menschenbestimmten Welt ist ja der Größte der, dem alle anderen dienen, der viele Diener hat. Das sind die Herren und Damen, die einen Namen haben, die sich hofieren und chauffieren und ihre Autos polieren lassen.
Doch Jesus hat gesagt: Wer unter euch der Größte sein will, der sei euer aller Diener. Er hat alles auf den Kopf gestellt, und zwar, weil er sagte: Gott ist ja selbst der größte Diener. Wenn ihr sein wollt wie er, müsst ihr es auch machen wie er: Anderen zu dienen, das ist seine Art.
Und was mich ganz besonders freut an unserem Text:
Die Begründung für die Gastfreundschaft wird nicht wie eine moralische Pflicht beschrieben, es wird nicht gedroht: Wehe, ihr tut das nicht, dann seid ihr keine guten Christen, es wird einem kein schlechtes Gewissen gemacht,
sondern diese Begründung ist mit einer Verheißung verbunden: Seid gastfrei, übt Gastfreundschaft, denn einige von euch haben es ja schon erlebt, ab und zu sind Engel darunter. Keine geflügelten Wesen, nein, es müssen keine Männer mit Flügeln sein, schrieb Rudolf Otto Wiemer in einem Gedicht, es können ganz gewöhnliche Menschen sein, die sich als Engel in unserem Leben entpuppen. Die uns reich machen, die uns verändern, wenn wir uns für sie öffnen.
Und das meint Gastfreundschaft, dass einem Gast, auch einem unerwarteten, tatsächlich Freundschaft erwiesen wird. Das kann ein Gast im eigenen Haus sein, aber auch ein Gast im eigenen Leben. Es wird Sie vielleicht wundern, wenn ich an dieser Stelle den Film Titanic erwähne. Aber hier geht es im weitesten Sinn auch um Gastfreundschaft.
Denn das verwöhnte und aus gutem Hause stammende Mädchen Rose lässt den abgerissenen Glücksritter Jack nach seiner ersten Rettungstat für kurze Zeit Gast sein in ihrem völlig anderen Leben, obwohl ihr die strenge Etikette genau davon abrät: Lass dich bloß nicht auf solche Typen ein. Der ist arm, er ist verdorben, er ist ein schlechter Umgang. Halte dich fern!
Doch als Rose viel, viel später, als sehr alte Frau mit ihren 101 Jahren, die Geschichte vom Schiffsuntergang der Titanic erzählt, beendet sie ihren Bericht mit den Worten:
Dieser junge Mann namens Jack, dieser im Grunde unangebrachte Gast in meinem Leben, hat mich auf jede erdenkliche Weise gerettet – nicht nur vor dem Selbstmord, nicht nur vor dem Untergang im Meer, sondern vor allem in dem er mir zeigte, wer ich wirklich bin und sein könnte. Mein altes Leben führte ich anschließend nicht mehr weiter.
Deswegen hat die Geschichte unsere Herzen berührt, weil Rose in einer entscheidenden Situation ihres Lebens einem Engel begegnet ist – und ihn nicht abwies und gerade dadurch einen Neuanfang in ihrem Leben geschenkt bekam, wenn auch tragischerweise ohne ihn, den Engel. Er war wie ein Gast, der wieder ging.
Natürlich ist das nur eine Geschichte, liebe Gemeinde, aber wie viele Geschichten hat unser Leben schon geschrieben! Daraus leben wir doch, aus solchen Geschichten und Erfahrungen! Und vielleicht sitzen Sie jetzt hier und denken: Ja, solch ein Engel ist auch schon in mein Haus, in mein Leben gekommen. Vielleicht war er nur kurz da. Aber ich habe ihn nie mehr vergessen.
Darum, liebe Mitchristinnen und Mitchristen, nehmt euch die Chance zur Begegnung, zur offenen Türe nicht.
Überlegt euch keine wichtigen Gründe, warum ihr nicht gastfrei sein könnt. Sondern überlegt euch, wie ihr es ermöglicht. Vielleicht meinst du, dein Zimmer, das du jemandem anbieten könntest, wäre nicht groß genug, oder das Essen, das du anbieten könntest, nicht gut genug, die Zeit, die du verwenden könntest, nicht ausreichend genug. Vielleicht zweifelst du an dir selbst.
Doch ich will dir sagen: Lass diese Gedanken fallen, wenn dein Herz von einer Bitte erreicht wird. Vertraue darauf, dass sich das Wesentliche finden wird.
Wir schaffen das! Yes, we can! Auch wenn alles gegen uns spricht. Neulich habe ich mich mit meiner Cousine Sylvia und ihrem Mann Bernd daran erinnert, wie das vor zwei Jahren war bei ihrer kirchlichen Hochzeit, als die beiden eingeladen hatten in die Provence in die Nähe von Avignon mitten im August.
Was ist da vorher alles passiert! Sylvia hatte sich acht Wochen vorher bei einem Fahrradunfall den Kiefer kompliziert gebrochen, ihr Bruder, der für die Musik verantwortlich war, sich kurz darauf das Becken, ein nahestehender Freund kam kurz nach der standesamtlichen Trauung ins Krankenhaus, und sechs Tage vor der kirchlichen Hochzeit, die ich halten sollte, starb mein Vater, -- was sollte noch passieren?
Doch das war´s noch lange nicht, denn dann kamen die anfahrenden Gäste in Hagelsturm und Unwetter, es passierte ein schwerer Unfall auf der Autobahn der aber für die beiden Gäste glimpflich ausging, doch auf dem Festgelände waren alle Aufbauten im Eimer, im Haus dort stand das Wasser, Sylvias Vater hatte noch einen kleineren Unfall dort. --- Ich glaube, es war noch mehr! Eine unfassbare Liste!
Da kann man aufgeben! Da kann man zurecht sagen: Wir packen es nicht!
Und ich weiß, die beiden waren nahe dran. Aber sie haben es anders gemacht: am Freitagmorgen haben sie dort gesagt: Wir schaffen das, wir sind gastfrei, wir sagen nichts ab und dann hat sich ein echtes Wunder ereignet, eine gemeinsame Aufgabenliste wurde organisiert. alle schon eingetroffenen Gäste haben mit angepackt, gearbeitet, eingekauft, gespült, dekoriert, aufgebaut, vorbereitet- und meine Frau und ich wurden von echten Engeln am Freitagabend, wenige Stunden nach der Beerdigung meines Vaters, abgeholt und durch die Nacht gefahren…
Wir schaffen das! Und es ist wunderschön geworden, ganz tief, kein bisschen oberflächlich…. Ein Fest des Vertrauens, des Zutrauens, des Mutes, eine Botschaft gegen die Angst, gegen die Sorge, gegen die Abwehr.
Und wir hören von neuem die Worte Jesu, der in der Bergpredigt gesagt hat: Warum sorgt ihr euch um euer Leben, um das, was morgen sein wird?
Habt doch Vertrauen, dass Gott, der euch dieses Leben geschenkt hat, es auch nach seinen Möglichkeiten behüten und bewahren wird. Fragt euch also nicht, was ihr verliert, wenn ihr Menschen aufnehmt und beherbergt, fragt euch vielmehr, was ihr gewinnen könntet.
Bei der ganzen Diskussion um Flüchtlinge ging es ja fast immer um die Frage: Was kosten sie uns, was nehmen sie uns weg, was müssen wir befürchten? Und sobald etwas Schlimmes geschah, wie etwa bei der Gruppenvergewaltigung in Freiburg, wo nun die Urteile gesprochen wurden, war es tagelang, wochenlang in den Medien. Das Gute dagegen, das ich und andere mit diesen Menschen erlebt habe, kam höchstens in den Lokalnachrichten. Denn es ist halt nicht spektakulär. Bei all den Berichten über Flüchtlinge wurde viel zu wenig gefragt: Was bringen sie uns mit, was gewinnen wir durch sie, was können wir von ihnen auch über unser eigenes Leben lernen, wenn wir gastfrei sind?
Doch genau das wäre die Haltung Gottes, die Haltung Jesu, da beißt die Maus keinen Faden ab. Natürlich ist das erstmal unbequem, aber wären denn wir gerne an ihrer Stelle? Wie würde es uns gehen, wenn unser Land kein Ort mehr wäre zum Leben?
Dazu passt, was im dritten Vers geschrieben steht: Denkt an die Gefangenen als ob ihr selbst mit ihnen im Gefängnis wärt. Denkt an die Misshandelten, als ob ihr die Misshandlungen am eigenen Leib spüren würdet!
Das ist echte, christliche Solidarität, wenn wir mit diesen Menschen leiden als wären wir an ihrer Stelle. Nicht weniger als das wird von uns erwartet, ich weiß das, ist viel, das ist sehr viel.
Ich weiß auch gut von mir selbst, dass ich das oft nicht schaffe. Viel zu sehr bin ich oft in eigenen Sorgen gefangen oder habe keine Energie. Praktizierte Solidarität ist echte Graswurzelarbeit, braucht einen langen Atem, ich weiß das aus der Asylarbeit. Das ist kein Schleckhafen. Sondern oft ein hartes Brot. Manchmal wird man auch enttäuscht, denn natürlich sind nicht nur Engel unter denen, die man aufnimmt.
Es ist in solchen Fällen aber nicht schlimm, wenn wir mal aufgeben. Es ist nur schlimm, wenn wir meinen, es ginge uns nichts an. Wenn wir meinen, Solidarität ließe sich durch Geld delegieren, durch gute Worte abhaken. Nein, das kostet Kraft uns ist mühsam.
Aber dafür darf man auch immer wieder Schönes erleben! So wie neulich das Fußballspiel der Gambier aus Bietigheim gegen die Gambier aus Freiberg. 22 schwarze Männer, mein Valentin und ich waren dazu eingeladen. In der zweiten Hälfte ging er auf den Platz. Was für ein Bild, grade umgekehrt wie sonst, ein einziger Weißer unter vielen Schwarzen. Die Welt bietet so viel Buntheit, wenn wir es zulassen. Wenn wir unsere Augen und Ohren und Herzen auftun.
Wenn all das geschieht, dann beherzigen wir den ersten Vers dieses kurzen Abschnitts, es sind nur drei griechische Worte:
Hä Philadelphia meneto,
die geschwisterliche Liebe möge bleiben. Was immer auch kommt, was immer euch bedrängt, auch in Zeiten von Corona, die geschwisterliche Liebe möge bleiben! Sie soll euer Leben bestimmen, sie ist wichtiger als alle Angst und Sorge. Denn ihr gehört doch euren HERRN, vertraut darauf, was auch geschieht, ihr seid nie vergessen, er kennt eure Namen, er hat euch ins Leben gerufen und ihr werdet auch nur sterben, wenn er eure Zeit bestimmt hat. Nicht vorher, und nicht nachher.
Denn ihm allein gehören Zeit und Ewigkeit, Amen.
Pfarrer Andreas Bührer